Geschichte von Oberwinterthur
Interessante Facts über Statuetten, Fundstellen und Ausgrabungen.Einleitung
Die Geschichte lehrt uns, dass unsere Vorfahren sich ihre Siedlungsstandorte sehr wohl überlegt und ausgesucht haben. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Römer als Gründer und Erbauer der Siedlung Vitudurum und der daneben liegenden Befestigungsanlage diesen relativ sicheren und günstig gelegenen Hügel und die angrenzende Hangterrasse für sich ausgewählt haben.
An der wichtigen Strassenverbindung, die von Westen her Richtung Bodensee nach Arbor felix (Arbon) und Brigantium (Bregenz) führte, war neben Ad fines (Pfyn) Vitudurum ein zweiter wichtiger strategischer Stützpunkt auf der West-Ost-Achse – durch die Schweiz in römischer Zeit.
Über die Grösse, Ausdehnung und Struktur lässt sich nichts Definitives sagen. Zukünftige Ausgrabungen lassen auf weitere interessante Einzelheiten oder sogar auf Überraschungen hoffen. Vielleicht werden eines Tages die Überreste eines Theaters entdeckt, welches eigentlich in einem so bedeutungsvollen Siedlungsstandort der Schweiz in römischer Zeit hätte vorhanden sein müssen.
Leider können aus technischen Gründen am eigentlichen Fundort in unserem Stadtkreis nicht allzu viele spektakuläre Funde und bauliche Überreste zur Schau gestellt und damit auch aufgesucht werden. Die meisten wertvollen ausgegrabenen Gegenstände sind als Bestandteile in die Sammlungen der diversen einschlägigen Museen in Winterthur und Zürich integriert (vor allem im Heimatmuseum Lindengut und im Landesmuseum Zürich).
Der folgende Rundgang durch die ehemaligen römischen Siedlungsteile versucht, durch die Beschreibung noch heute einsehbarer baulicher Zeugen einen überblicksmässigen Eindruck von Oberwinterthur in den ersten paar Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zu vermitteln.
1. Kastell
Während die vorderste Grenzlinie auf dem Sporn mit der nördlichen, bergwärts liegenden Rückmauer des heutigen Hohlandhauses identisch ist, reichte der Kastellbezirk Richtung Lindberg ungefähr bis zum Hauseingang Hohlandstrasse 1. Fixpunkte für den Verlauf der seitlichen Begrenzungsmauern sind die Westfassade des Pfarrhauses und der Eingang zum Sigristenhausteil des Kirchgemeindehauses.
Der interessanteste Teil der zum Teil wieder sichtbar gemachten Kastellmauer (mit einer Dicke bis zu 3 Metern) befindet sich zwischen Kirchturm und dem südlichen Anbau des Kirchgemeindehauses. Hier ist nämlich seit den ersten grösseren Ausgrabungen in den Jahren 1949 bis 1951 ein halbrundförmiger, recht massiver Beobachtungsturm entdeckt worden. Originalsteine dieser baulichen Zeugen aus der Römerzeit bildeten bis vor einigen Jahren die einzige einsehbare Fundstelle im Raume des ehemaligen Kastells. Wie allgemein bei historischen Fundstellen üblich, waren durch eine rote Ziegelsteinmarkierung die ergänzenden, etwas erhöhten, später zugefügten Mauerteile von der “echten” römischen Grundmauer getrennt.
Leider wurden bei der letzten Kirchenrenovation (1976-81) und der damit verbundenen Umgestaltung des Kirchvorplatzes diese historischen Mauerteile überdeckt. Immerhin ist diese interessante Fundstelle in der Form von Kopfsteinpflaster im Grundriss erhalten geblieben.
Ungefähr 20 Meter weiter südlich wurde ebenfalls im Zuge dieser Erneuerungsarbeiten ein zweiter Turm von gleicher Art ausgegraben. Auch dieser Teil der Kastellumfassung konnte aus praktischen Gründen nicht im authentischen Zustand für die Öffentlichkeit erhalten bleiben, für den heutigen Besucher ist sie aber – durch eine Spezialpflästerung markiert – direkt neben dem Kirchturm klar zu orten.
Dem am Schlusse des Kapitels “Rundgang durch das römische Oberwinterthur” angefügten Plan, der die neuesten Forschungen beinhaltet, ist zu entnehmen, dass die beiden Türme als Schutz zu einem dazwischen liegenden Eingangstor gedient haben müssen.
Dem aktuell vorliegenden Plan ist zu entnehmen, dass auch noch weitere römische Gebäude auf dem Gebiet des ehemaligen Kastells gestanden haben müssen. Nur ein einziger Standort dieser Häusergruppe ist aber als Grundriss markiert. Es handelt sich um die Fundamente eines gallorömischen Tempels.
Betritt man nämlich auf der Hohlandstrasse vom Dorfbrunnen her den gepflästerten Kirchenvorplatz, fallen dem Besucher zwei durch andersartige Pflästerung gekennzeichnete Querstreifen auf. Sie markieren zwei parallel verlaufende Grundmauern des Tempels. Zusammen mit den andern sechs, ebenfalls durch andere Strukturen hervorgehobenen Quadratseiten bilden sie den Grundriss zwei hintereinander liegender Quadrate von je 15 und 7 Meter Seitenlänge. Über dem kleineren Quadrat stand der eigentliche Tempelraum, das grössere bezeichnet die äussere Abgrenzung eines rundherumführenden Säulenganges, der mit einer Art Klebedach überdeckt war.
Mit diesem Tempelbau begann damit eine schon über zwei Jahrtausend dauernde Epoche, während welcher die Bewohner Oberwinterthurs den heutigen Kirchhügel als religiöses Zentrum benützten.
Die weiteren ausgegrabenen Grundmauern werden als Reste von Nebengebäuden des Tempels und als Wohnhäuser angesehen. Unter der grösseren, im Plan rötlich gefärbten Fläche muss sich ein Platz befunden haben.
Unter dem Chor der Kirche befindet sich ein zweiter markanter Ort, an dem auf engem Raum konzentriert interessante bauliche Überreste aus der Römerzeit angeschaut werden können. Erreicht wird diese unterirdisch gelegene Fundstelle durch eine steile, schmale Treppe, welche von einem Nebenraum des Chors hinunterführt. Der Sigrist wird bei einem Besuch gerne behilflich sein.
Als Erstes ist auf anschauliche Weise anhand einer Rekonstruktion mit gefundenen Originalteilen dargestellt, wie die Römer ihr Heizungsproblem gelöst haben. Mit einem Minimalausschnitt einer so genannten “Hypocaust”-Anlage wird demonstriert, wie unter dem eigentlichen Raumboden mit Hilfe kleiner Backsteinsäulen und der darauf gelegten Bodenplatten ein ungefähr 50 Zentimeter hoher Hohlraum geschaffen wurde. Zusammen mit den in den Wänden eingemauerten quaderförmigen Hohlziegeln wurde warme Luft unter den Boden und in die Wände geführt. Ein Hinweis, dass die Römer bereits ein Heizungssystem kannten und anwendeten, das vom aktuellen Stand unserer Lösungsweise punkto Wärmekomfort nicht sehr weit entfernt ist. Im hinteren Teil kann man für das eine Mal die Originalkastellmauer bestaunen. Sie hebt sich von den anderen, später entstandenen Grundmauern der Kirche durch ihre handwerklich präzise, relativ fein strukturierte Ausfertigung ab.
Davor, fast in paralleler Richtung, liegt eine Türschwelle zum Eingang (Porticus) des vermuteten Hallenbades (Thermen). Links davon zieht sich in einem ebenfalls sehr guten Zustand auf einem Fundament eine römische Wasserleitung (bestehend aus halbrunden Hohlziegeln) durch den unterirdischen Raum.
Deutlich erkennbare schwarze Spuren bei den Grabungsquerschnitten zeugen von Bränden, welche in gewissen zeitlichen Abschnitten die Siedlung heimgesucht hatten.
3. Weitere Fundstellen in Oberwinterthur
Laufend wurden und werden, vor allem bei Neu- und Umbauten, neue Fundstellen aufgedeckt.
Zu erwähnen wären zum Beispiel die diversen römischen Töpferöfen im Ausserdorfquartier (Bäumlistrasse) und im Unterdorf (Römerstrasse 210). Anlässlich dieser Funde wurde jeweilen ernsthaft geprüft, ob diese interessanten und wertvollen Zeugen aus der römischen Vergangenheit präpariert werden und damit der Bevölkerung jederzeit zur Besichtigung zur Verfügung gestanden wären. Aus technischen und finanziellen Gründen ist aber auf dieses sicher aufwändige Vorhaben verzichtet worden. Hingegen konnte man beim Bau des Hotels Römertor einen begrenzten Abschnitt der in östlicher Richtung wegführenden Römerstrasse sichern.
Merkur- und Minerva-Statuetten
– Merkur mit Hahn und Ziegenbock – Lavezbecher
Aufgrund der Forschungsergebnisse ist die Herkunft der drei abgebildeten Becher der Gegend Veltlin oder Bergell zuzuordnen. Lavez ist ein Material, das dem uns besser bekannten, ebenfalls gut zu bearbeitenden, weichen Speckstein ähnlich ist.
Die Trinkgefässe sind in unterschiedlichem Zustand gefunden worden, einer wies zum Beispiel eine wahrscheinlich aus der Römerzeit stammende Reparaturstelle auf.
Als Schlussbemerkung zu diesen vorgestellten Fundstücken wäre noch hinzuzufügen, dass sie mit Ausnahme der Glasschale alle in der Zeitspanne von zwei Tagen, genau am 23. und 24. August 1978, fast an der gleichen Stelle entdeckt wurden. Diese seltene Dichte ist mit der Vermutung zu erklären, dass ein damaliger römischer Bewohner Oberwinterthurs bei der Flucht vor den einbrechenden Alemannen diese Schätze kurzfristig vergraben hat und sie aus irgendwelchen Gründen nicht mehr mitnehmen konnte.
2. Ausgrabungen auf dem ehemaligen Jaeggli-Areal
Von 1977 bis 1982 wurde die gesamte Fabrikanlage der ehemals in Oberwinterthur ansässigen Maschinenfabrik mit Ausnahme des heute noch stehenden Portierhäuschens abgebrochen. Auf diesem Areal und auf dem bisher noch nicht überbauten Gebiet westlich und südlich des Abbruchgeländes wurde die heutige Wohnsiedlung «Unteres Büel» erstellt. Schon vor Beginn der Bauarbeiten war klar, dass es sich hier um eine geschichtlich und archäologisch interessante Nahtstelle aus der römischen Vergangenheit handeln musste.
Über Jahre hinaus war dann auch der Ausgrabungsort Büel ein wichtiger Stützpunkt der Kantonsarchäologie. Die vorgenommenen intensiven und aufwändigen Ausgrabungen und Forschungen ergaben wertvolle, umfassende Aufschlüsse über die Art und das Aussehen dieses einen Teils der ehemaligen Siedlung «vicus» Vitudurum.
Der heutige Besucher kann hier anhand der hölzernen Markierungen den Verlauf der ehemaligen Römerstrasse und der links und rechts daran angebauten Häuser einsehen. Holzpfosten zeigen, wo die Säulen der Vordächer der wahrscheinlich von Handwerkern und Händlern bewohnten, ladenähnlichen Gebäude gestanden haben. Es ist somit anzunehmen, dass mit einer Art unserer heutigen Lauben ein schattiger, trockener Platz vor ihren Gewerberäumen geschaffen wurde.
Am Rande der ehemaligen Grossausgrabungsstelle stehen Tafeln, welche die wichtigsten Erkenntnisse über diesen Teil des «vicus» Vitudurum und die dort gemachten Funde auf instruktive Art und Weise veranschaulichen.
Im Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur vom Jahr 2000 findet sich ein Rekonstruktionsversuch des gesamten “vicus” Vitudurum, in welchem auch die neuesten, in den letzten paar Jahren erfolgten Grabungs- und Forschungsergebnisse berücksichtigt sind. Wir schauen aus der Vogelschau von Süden her Richtung Kirchhügel. Als Orientierungspunkte können der im Zentrum stehende Tempel (heute Vorplatz der Kirche) und die links davon stehenden Häuser im Westteil (heute Parkanlage gegenüber dem Restaurant Sonneck) an der Römerstrasse dienen. Rechts neben den weiteren, schon vorher erwähnten Gebäuden um den Tempel befindet sich der erst in letzter Zeit entdeckte Ostteil des «vicus» (im heutigen Unterdorf). In der Gegend des Restaurants Römertor verliess die Römerstrasse den Siedlungsstandort Richtung Osten. (Siehe auch Seite!)
Die wertvolleren Funde von römischen Kunst- und Gebrauchsgegenständen aus unserer Siedlung können nur im Landesmuseum Zürich eingesehen werden. Sie sind zum Teil im Sektor «Römerzeit» ausgestellt oder (leider) auch nur magaziniert. Stellvertretend für diesen wichtigeren Teil der Funde seien drei besonders schöne und zugleich auch gut erhaltene Beispiele etwas ausführlicher beschrieben und illustriert:
Glasschale, mit Emailfarben bemalt. Die wahrscheinlich aus Oberitalien stammende Schale, auf deren Oberfläche diverse Fischmuster eingefärbt sind, gilt in Fachkreisen als besonders wertvolles Exemplar.
4. Römische Zeugen im Gebiete der Altstadt
Im Heimatmuseum Lindengut, wo bis vor kurzem in einem separaten Raum speziell mit Fundgegenständen, Modellen und weiteren Erläuterungen die römische Zeit Winterthurs illustriert wurde, ist dieses Anschauungsmaterial im Moment nur magaziniert und für den Besucher nicht frei zugänglich. Ein neues Konzept zur Präsentierung der Römerfunde ist aber in Bearbeitung. Auch im Münzkabinett sind in Vitudurum ausgegrabene Münzen integriert, werden aber nur von Zeit zu Zeit je nach Thematik in den stets wechselnden Ausstellungen gezeigt. Als Zusammenfassung und Übersicht dieses ersten Teils der Kombination Rückblick und Gegenwart eignet sich ein aktueller Plan des Vermessungsamtes Winterthur, welcher mit den bisher erfolgten Ausgrabungen ergänzt wurde. Er ist (mit Bewilligung der notwendigen Instanzen) aus dem schon vorher erwähnten Neujahrsblatt 2000 in unseren Bildband aufgenommen worden. In ihm sind auch die Standorte der neuesten Ausgrabungen (und damit eingeschlossen die Grundrisse der Häuser im Ostteil) dokumentiert.
Zur Geschichte der Kirche St. Arbogast
Kirchhügel mit Kirche, Hohlandhaus und Pfarrhaus
Man darf annehmen, dass am heutigen Standort der Kirche St. Arbogast seit mehr als 1000 Jahren ein Gotteshaus gestanden hat, obwohl auch während der letzten grossen Restaurierung von 1976 bis 81 keine konkreten Bauspuren einer eventuell schon schon im 1. Jahrtausend nach Christus vorhandenen Holzkirche, wie das an ähnlichen Standorten mit römischer Vorgeschichte der Fall ist, gefunden wurden. Grundmauern einer ersten einfachen Steinkirche (die sich fast ganz innerhalb des ehemaligen Kastells befunden hatte) bestanden nach wissenschaftlich gesicherten Daten bis ins letzte Viertel des 13.Jahrhunderts. Mit nur 14 Meter Länge und dem Turm mit einem quadratischen Grundriss von 6 Meter Seitenlänge erreichte sie natürlich noch lange nicht die Dimension der heutigen Kirche.
Weitere wichtige Indizien, dass dieser erste Bau auf dem Hügel des ehemaligen Kastells aber schon tief ins erste Jahrtausend zu datieren wäre, liegen im kirchengeschichtlichen Hintergrund (St.Arbogast geweiht und räumlich grosse Ausdehnung der Urpfarrei Oberwinterthur).
Im Mittelalter erfolgte schrittweise die Erweiterung zur heutigen dreischiffigen Basilika mit den 13 hohen Fenstern am Mittelschiff und den je 5 kleinen Fenstern an den zwei Seitenschiffen.
Bauliche Entwicklung
Die nachfolgende Bilderchronik soll die Entwicklung in den letzten 150 Jahren illustrieren und auch die wesentlichsten Veränderungen aufzeigen, welche während der letzten Renovation und Restaurierung (1976-81) vorgenommen wurden.
Aus der “Vor-Fotozeit” sind uns zwei gut erhaltene, aussagekräftige Bilddokumente der Kirche St.Arbogast erhalten geblieben. Als Gemeinsamkeit ist auf beiden Abbildungen das so genannte “Hegemerchörli” zu sehen, das leider 1877 im Zuge einer Renovation kurzerhand abgebrochen wurde.
Auf der Aquatinta von L. Schulthess – als Ansicht von Osten her – ist ersichtlich, dass ein separater Eingang in diesen, für die “Herren von Hegi” bestimmten Chorteil vorhanden war. Erreicht wurde er durch eine zwischen Kirche und Hohlandhaus hinaufführende Treppe.
Die Zeichnung von Johann Rudolf Rahn aus dem Jahre 1867 zeigt uns den damaligen Vorbau auf der Westseite der Kirche. Das Vordach hatte ungefähr das Aussehen und das Ausmass, wie es sich uns nach einer 1951 erfolgten Teilrenovation präsentiert. Im Unterschied dazu war aber bis zum 1877 erfolgten Abbruch der Anbau in der nördlich gelegenen Hälfte ummauert. Ursprünglich diente dieser Raum während Jahrhunderten als Beinhaus, zuletzt wurden an diesem zentral gelegenen Ort die Geräte der Feuerwehr Oberwinterthur gelagert. Zudem führte auf der rechten Seite der Eingangshalle eine Aussentreppe zur Empore ins Innere der Kirche.
Die folgenden zwei, eher selten gezeigten Ansichten zeigen die Kirche von der Dorfseite her. Sie sollen einen weiteren markanten Abschnitt im äusseren Erscheinungsbild dokumentieren. Datumsmässig muss die erste um 1900 entstanden sein, weil der Turmhelm noch nicht erhöht ist und nicht die heutige Form aufweist. Erst anlässlich der Renovation von 1910 (zweite Foto) wurde der oberste Teil des Turmes verändert und erhielt die heutige, spitzere Gestalt. Sehr nahe, fast an das Gotteshaus angebaut befand sich sich eine Scheune (genannt Clephis* Schüür). Sowohl punkto Standort wie im übertragenen symbolischen Sinn Ausdruck, dass damals “die Kirche noch im Dorfe stand”.
Landwirtschaftliche Geräte (zwei Eggen an der Scheunenwand angelehnt) und ein so genannter “Bännewage” zeugen von der bäuerlichen Arbeit der Dorfbewohner im angehenden 20. Jahrhundert.
Im Zusammenhang mit der Erhöhung des Turmes wurden die fünf alten Glocken eingeschmolzen und mit neuem Material zum Guss der vier neuen Glocken wiederverwendet. Zwei Pferdewagen brachten sie am 26. Februar 1911 unter grosser und freudiger Anteilnahme der Bevölkerung vom Güterbahnhof Winterthur an ihren neuen Wirkungsort. Anschliessend zogen sie die Oberwinterthurer Schüler und Schülerinnen in den Glockenstuhl hinauf. Die nachfolgenden Aufnahmen sollen Eindrücke von diesem ereignisreichen Tag vermitteln.
Genau 66 Jahre später, im Spätsommer 1977, fand abermals ein Glockenaufzug statt. Zwei zusätzliche neue Glocken wurden zur Bereicherung des bisherigen Geläutes angefertigt. Der Tradition entsprechend wurden sie auf Pferdefuhrwerken, begleitet von Schulklassen, durch das Dorf zur Kirche geführt. Sowohl die Fahrt auf der Römerstrassse als auch der eigentliche Aufzug der beiden neuen Glocken – wieder durch die Schuljugend – zog viele Zuschauer an, die das freudige, bunte Geschehen anlässlich dieses Dorffestes vom 10./11. September sichtlich genossen.
Das Kirchenareal ist – neben den vielen dort stattfindenden freudigen Ereignissen – auch der Ort, an dem von den Verstorbenen Abschied genommen wird. Heute sind viele der damit verbundenen Aufgaben auf den Friedhof Rosenberg konzentriert. Früher war das noch anders geregelt, die Gemeinde Oberwinterthur war für das ganze Bestattungswesen zuständig, so zum Beispiel auch für die Aufbahrung der Verstorbenen. Dafür stand nördlich der Kirche das so genannte Leichenhaus. Unter Arkadenbogen befand sich eine offene Wartehalle, dahinter waren ein Aufbahrungszimmer, öffentliche Aborte und ein Dienstraum für den Friedhofgärtner.
Beim Bau des Kirchgemeindehauses (1950/51) und der damit verbundenen Umgestaltung des Kirchenvorplatzes musste es 1949 abgebrochen werden. Auf unserer Aufnahme kann man erkennen, dass damals die Gräberfelder direkt bis ans Leichenhaus heranreichten.
Zu ergänzen wäre in diesem Zusammenhang, dass bis in die Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts auch in Oberwinterthur noch Brauch war, mit einem schwarzen, von Pferden gezogenen Wagen, an dem die Kränze befestigt waren, die Verstorbenen zur Kirche und zum Friedhof zu führen. Hinter diesem Gefährt folgten die Trauernden, die sich entweder vorher beim Trauerhause besammelt hatten oder sich unterwegs in ihrem Wohnquartier dem Trauerzuge angeschlossen hatten. Die für diesen Dienst verantwortlichen Fuhrleute der Familie Kellermüller waren übrigens mit ihrem bäuerlichen Anwesen, das sich vorher auf dem Areal des heutigen Kirchgemeindehauses befand, direkte Nachbarn des Leichenhauses.
Das Innere der Kirche
Vor der Chronologie der baulichen Veränderungen im Innern der Kirche müssen unbedingt die bedeutenden gotischen Wandmalereien erwähnt werden. Nach der gelungenen Restaurierung in den Jahren 1976 bis 1981 sind sie wieder in ihrer ursprünglichen, schlichten, aber aussagekräftigen Art – als einzigartiges und bedeutsames Beispiel mittelalterlicher Freskenkunst – in einwandfreiem Zustande der Allgemeinheit zugänglich.
Auf die Inhalte der einzelnen Themenreihen möchten wir an dieser Stelle nicht eingehen. Wir verweisen auf die zahlreichen kunstgeschichtlichen Führer oder auf die im Literaturverzeichnis erwähnte Festschrift zur Einweihung der renovierten Kirche St.Arbogast aus dem Jahre 1981.
Eine einzige, uns zugängliche Ansicht aus dem Innern der Kirche, die noch das Hegemerchörli zeigt, ist datiert aus dem Jahre 1834, gezeichnet hat sie Ludwig Schultheiss. Wir blicken vom Eingang her ins Mittelschiff des nach Osten ausgerichteten Gotteshauses. Rechts als quadratischer Raum unter einem Kreuzgewölbe, das von einer Mittelsäule abgestützt wird, befindet sich dieser später abgebrochene Gebäudeteil. Aussergewöhnlich ist, dass die sonst zum Kirchenraum gehörenden Bänke, Kanzel und Orgel fehlen.
Die Veränderungen anlässlich des Umbaus von 1877 (unter anderem mit dem erwähnten Abbruch des Hegemerchörlis) hatten Auswirkungen auf das Innere der Kirche, so dass es dort wie folgt aussah: Die Treppe zur Empore wurde von aussen ins Hauptschiff versetzt, ein Mittelgang führte durch die dunkelfarbenen Bankreihen, von den Fresken war nicht viel zu sehen. Normalerweise waren sie sogar durch aufziehbare, aus Tuch bestehende Überzügen überdeckt. Die Orgel füllte den ganzen Chor aus und gab damit den Blick Richtung Osten, so wie wir ihn heute schätzen, noch nicht frei.
Als dann an Ostern 1932 im Rahmen eines Konzertes plötzlich die Orgel ihre Dienste verweigerte, kündigte sich eine weitere grössere Renovation an: Die Empore musste weichen, die Wandmalereien wurden freigelegt, eine neue Orgel nahm wiederum ihren Platz im Chor ein.
Die Kirche nach 1981
Anfangs der Sechzigerjahre veranlassten wiederum technische Probleme (vor allem an der Orgel, im Bereich der Heizung und der elektrischen Anlagen) und eindringende Feuchtigkeit die Planung einer umfassenden Restaurierung der Kirche. Mit dem Resultat dieser lange währenden, intensiven und aufwändigen Arbeit (sie dauerte von 1976 bis 81, so lange mussten auch alle kirchlichen Handlungen im Kirchgemeindehaus stattfinden) durften und dürfen die Oberwinterthurer sehr zufrieden sein und grosse Freude haben.
Dazu einige auffallende Merkmale:
von aussen die harmonische Kombination der hellweissen Mauerwände, der angenehmen Farben der Dächer, des frisch und stolz wirkenden, vom Putz freigelegten Tuffsteinturms und der markanten, eleganten kupfernen Turmhaube, im Innern die warme Atmosphäre mit viel Naturbaustoffen, das Holz der Bänke und der Decke, die restaurierten Fresken, das geschickte Platzieren der Orgel an den Wänden des Chors, so dass der Blick auf die künstlerisch neu gestalteten Chorfenster und auf die wieder entdeckten mittelalterlichen Schalltöpfe frei wurde.
Dass unsere Oberwinterthurer Kirche in praktisch allen einschlägigen Kunstführern als ein sehr wichtiges, bedeutendes und seit 1981 auch als besonders gut erhaltenes Kunstdenkmal beschrieben und gewürdigt wird, darf uns auch heute noch mit Stolz erfüllen.
Die zwei folgenden, der 1981 erschienenen Festschrift entnommenen Fotos als Aussen- und Innenansicht sollen den erfolgreichen Abschluss dieser letzten Restaurierung dokumentieren und zugleich auch die Brücke zum heutigen Zustand liefern.
Hohlandhaus
Das zweite dem Mittelalter zuzuordnende Bauwerk auf dem Kirchhügel, das Hohlandhaus (in historischer Schreibweise auch Hollandhaus), steht im Gegensatz zur Kirche St.Arbogast nicht auf dem ehemaligen Kastellbereich. Seine nördliche Abschlussmauer ist direkt auf der Kastellgrenze aufgebaut. Es ragt somit, der Hügelkuppe vorgelagert, in den Abhang gegen die Eulach hinein. Während seine Grundmauern mit römischem Ursprung eine Dicke von gegen 2,50 Meter aufweisen, sind die übrigen mittelalterlichen Mauern immerhin auch 1,10 und 1,20 Meter breit.
Ein erster Kernbau soll in Form eines mittelalterlichen Burgturmes im Jahre 1181 als Sitz der Meier von Oberwinterthur errichtet worden sein. Sie gehörten dem so genannten niedrigen Adel an und waren im Dorf für den Einzug der Zehnten verantwortlich. Mit einigen Erweiterungen, zum Teil auch mit Aufbauten, wuchs das heutige Hohlandhaus zu seiner heutigen Grösse heran, das dann lange Zeit als Pfarrhaus diente. Als 1754 etwas weiter nördlich gelegen ein neuer Wohn- und Amtssitz für die Pfarrer erworben wurde, änderten die Besitzer.
Nach vielen Jahren Privatbesitz kaufte es 1922 die Stadt Winterthur, welche im Jahre 1937 sogar einen Abbruch plante. Dank Einsprache des Historischen Vereins konnte diese Aktion verhindert werden. Damit blieb dieses älteste Wohnhaus Oberwinterthurs für die Nachwelt erhalten.
Heute befinden sich darin drei Wohnungen, wobei bei der 1985 bis 1987 erfolgten Renovation strikte darauf geachtet wurde, dass möglichst viel von der kunsthistorischen Substanz erhalten bleiben konnte. Das bedeutet für die jetzigen Bewohner, dass sie statt in grossen, hellen, hohen und auf gleicher Ebene befindenden Zimmern in eher kleineren, dunkleren und niedrigeren Räumen auf mehrere Stockwerke verteilt leben, die Wände ihrer Stuben statt mit Tapeten mit Putz überzogen und mit Nischen versehen sind.
Das Pfarrhaus
Als jüngstes der Dreiergruppe von historischen Gebäuden des Kirchhügels weist nicht eine so wechselvolle Geschichte auf wie die zwei andern. Seit fast 250 Jahren diente und dient es auch heute noch als Wohn- und Amtssitz für viele Generationen von Pfarrern mit ihren Familien. Als einziger markanter Einschnitt soll erwähnt werden, dass ein landwirtschaftlich genutzter Anbau mit Scheune und Stall, der sich an Stelle des heutigen Gartens befand, 1938 abgerissen wurde. Er gehörte samt “allem, was Nueth und Nagel hat” zum Anwesen, das am 10. Juli 1754 von Hans Konrad Wuhrmann für 2600 Gulden gekauft wurde.
Wie das Dorf hinter und neben dem Kirchhügel in den letzten Jahrhunderten ausgesehen haben muss, lässt sich aus den uns zur Verfügung stehenden Quellen erstmals durch die Wildkarte, welche 1843-51 aufgenommen wurde, wenigstens punkto Grösse und Ausdehnung zuverlässig rekonstruieren.
Auf den ersten Blick fällt auf, dass sich das damalige Oberwinterthur nicht mit den beiden Haupttypen Strassen- oder Haufendorf beschreiben lässt, es ist vielmehr eine Mischung der beiden Dorfformen:
Strassendorf, indem sich die Mehrzahl der Häuser links und rechts der alten Landstrassse (heute Römerstrasse) befindet, allerdings ausdehnungsmässig nur in dichter Bebauung vom Dorfplatz Richtung Osten bis Ende Unterdorf,
Haufendorf mit den Querästen Lindbergstrasse und Anfang der Pestalozzistrasse (früher Hinterhofstrasse) Richtung Lindberg und mit den beiden Hohlgassen in Richtung Eulachlauf.
Vereinzelte Häuser und Häusergruppen stehen im heutigen Ausserdorfquartier (früher Neudorf genannt),
in der damaligen Wachstumszone, im Unteren Bühl,
im Stadtrain und an der Eulach (Untere und Mittlere Mühle).
Bis zu den nächsten Siedlungsstandorten Altstadt, Seen, Hegi, Wiesendangen und Zinzikon ist alles unverbautes Land. Von Zinzikon an, über den Bäumligrat bis weit über den Lindberg hinweg nach Veltheim und Wülflingen, sind an den südlich exponierten Hängen Rebberge angelegt.
Neben den beiden Landstrassen nach Frauenfeld-Romanshorn und St.Gallen führen praktisch parallel die um 1855 erstellten Bahnlinien nach den gleichen Bestimmungsorten. Die Weiler Zinzikon, Wallrüti und die Dörfer Hegi, Wiesendangen und Seen sind von Oberwinterthur aus auf Feldwegen erreichbar.
Aquarell mit einer Ansicht von 1844
Die älteste uns zur Verfügung stehende Ansicht des Dorfes Oberwinterthur stammt ungefähr aus der gleichen Zeit, in welcher auch die Wildsche Karte entstanden ist. Das Aquarell hängt im Heimatmuseum Lindengut, ist 1844 von Heinrich Müller gemalt worden und gehört dem Historischen Verein Winterthur.
Der Standort des Malers muss sich am Waldrand etwas westlich des heutigen Schulhauses Lindberg befunden haben. Die auf dem Kartenausschnitt charakteristische Gliederung der Häuser entlang der Römerstrasse, der Lindberg- und Hinterhofstrasse und die lockere Siedlungsstruktur im Neudorf (heute Ausserdorf) und an der Eulach ist gut ersichtlich. Beim markanten, länglichen, etwas abseits stehenden Gebäude am westlichen Dorfrand muss es sich um das Stammhaus der Firma Jaeggli handeln, in welches 1849 das bis anhin in Seen ansässige Unternehmen gewechselt hatte.
Allzu viele Einzelheiten an den Häusern sind nicht feststellbar, hingegen tritt der noch ausgesprochen ländliche Charakter der Umgebung, in welcher Oberwinterthur und das in der Ebene gelegene, benachbarte Hegi eingebettet waren, klar zutage. Unterbrochen werden die Wiesen, Felder, Baumgärten und Äcker nur durch den Feldweg nach Hegi und durch den Lauf der Eulach. Von den drei sich im Vordergrund befindenden Personen möchte der Mann mit der Brente am Rücken sicher die damals wichtige Bedeutung des Weinbaus symbolisieren.
Im Sommer 1895 fand in Winterthur das Eidgenössische Schützenfest statt. Für diesen zwei Wochen dauernden Grossanlass wurde eine 300 Seiten umfassende Festschrift herausgegeben, in der in umfassender Art und Weise Winterthur und seine Umgebung präsentiert wurden. In so genannten Autotypien (einem damals üblichen Verfahren zur Illustration) wurden Stadt und Vororte, Sehenswürdigkeiten und Industrieunternehmungen so bildlich festgehalten und vorgestellt. Die Darstellung von Oberwinterthur zeigt – ähnlich wie das Aquarell von Müller – die spezielle Lage des Dorfes am Abhang des Lindbergs und die intakte ländliche Umgebung. Verschiedene einzelne Gebäulichkeiten können im Vergleich zum heutigen Aussehen wieder erkannt und lokalisiert werden:
Kirche mit dem einfachen Vordach, Hohlandhaus, Pfarrhaus mit noch angebauter Scheune, die Häusergruppe untere Mühle (heute Garage Reusser) und gegen Hegi die mittlere Mühle (später Lehrlingsheim Sulzer). Weiter sieht man den Hochkamin der Firma Jaeggli, direkt davor das zweistöckige Schulhaus Ausserdorf, etwas weiter links eine grosse Scheune der Bauernfamilie Brennwald (heute Telefonzentrale am unteren Teil der Helgenstrasse), rechts im Vordergrund die dunklen Umrisse eines Dreisässenhauses, des so genannten Sonnenhofes (an der Stelle des Pfarrhauses an der alten Römerstrasse).
Ein Zitat aus diesem Band “Winterthur in Wort und Bild”, welche das Eingebettet-Sein in ländlich-unberührter Umgebung beschreibt und zugleich den doch schon einsetzenden Beginn der Technisierung andeutet, tönt für uns heute fast zu poetisch:
Die weiten Fluren bieten noch den Alt-Meistern Lampe und Reineke ein dankbares Feld.
Schmetternder Lerchenjubel tönt hier aus den blauen Himmeln, huscht aus den wogenden Saaten.
Daneben knarren die eisernen Räder auf den ostwärts führenden Eisensträngen.
Im Rahmen des Schützenfestes wurde auf vier Linien ein Pferdetrambetrieb erprobt, wobei eine Strecke vom Hauptbahnhof her auch nach Oberwinterthur führte. Jedoch nach kurzer Zeit wurden diese Fahrten wegen mangelnder Rentabilität wieder eingestellt.